Ich will wieder mal ein Schiff bauen. Ein ganz kleines. Die "Mystery" war im Original 11,28 m lang und 3,51 m breit. Sie war in Newly an der Küste Cornwalls beheimatet und wurde zum Fang von Seeteufel, Scholle, Steinbutt und Makrele eingesetzt. Das halboffene Boot war ein Spitzgatter mit einholbarem Bugspriet, trug 2 Pfahlmasten und einen einholbaren Heckausleger. Das Rigg bestand aus 2 Luggersegeln und dem Vorsegel. Die Mounts Bay Lugger hatten große Übereinstimmungen mit der bretonischen Sinago vom Golf von Mobihan an der benachbarten Festlandküste (Bild 1), das Rigg entsprach der Ausführung eines bretonischen Lougre de Légué (Bild 2), während der Rumpf Ähnlichkeiten zur Pinky aus Nova Scotia (Bild 3) aufweist. Diese ist nachweislich aus cornisch/bretonischen Fahrzeugen hervorgegangen.
Ich will das Fahrmodell bauen, da dieser kleine Küstensegler 1854 mit 7 Mann besetzt in nur 116 Tagen von Newlyn in Südengland nach Melbourne, Australien segelte. Sie war schneller als die meisten Dreimaster, obwohl sie wiederholt in sehr schwere See geriet und tagelang an einem Treibanker hängend den Sturm abwetterte. . Das Logbuch ist erhalten geblieben.
Gruß Jörg
Bild 1: Les bateuax de peche de Bretagne, H. Gloux/J. Manach, Fayard, 1976, S. 193
Egal wie leer du im Kopf bist, es gibt Menschen, die sind Lehrer!
Goldfunde im 19. Jh. lösten große Emigrationswellen aus. 1849 wurde Gold in Kalifornien gefunden, 1851 entdeckte man Gold bei Bendigo nördlich von Melbourne. Die Zeitungen in aller Welt meldeten diese Funde und verursachten einen gewaltigen Gold Rush. Zu dieser Zeit fischte die "Mystery" vor Cornwall, es war eine anstrengende und gefahrvolle Tätigkeit, oft bleiben die Netze leer oder die Fischer konnten wegen den Wetterbedingungen nicht auslaufen. Das kleine Schiff gehörte einer Partengemeinschaft von 7 Fischer. Diese wollten spontan das Fahrzeug verkaufen um die Passage nach Australien zu bezahlen. Kapitän Richard Nickolls (33 Jahre alt) besaß den größten Anteil am Schiff. Er wollte sich nicht von der "Mystery" trennen und bot an, den Küstensegler nach Australien zu navigieren. Der Vorschlag wurde angenommen und das Schiff wurde präpariert. Es erhielt ein durchlaufendes Deck und einen Zinkbeschlag im Unterwasserbereich. Zink war und ist billiger als Kupfer. Am 18. Nov. 1854 segelte man von Newlyn los, erreichte Madeira am 25. Nov. , Trindad am 23. Dez. und Cape Town am 18. Januar 1855. Das waren 60 Tage und bedeuteten eine Rekordzeit. Die Royal Mail in Kapstadt übergab Kapitän Nickolls die aufgelaufenen Postsendungen zur Weiterbeförderung nach Australien. Bei der Weiterfahrt geriet man wiederholt in heftige Stürme, ein selbstgebasteltes Floß hielt den Bug gegen die Wellenberge und verhinderte ein Kentern. Nach 11 800 Seemeilen (21 900 km) erreichte der Lugger Port Philipp Bay und somit Melbourne. 8 stolze Lotsen geleiteten ihn in den Hafen am Yarra Fluss. Eine großartige Leistung...
So mag die "Mystery" ausgesehen haben. Sie hatte in Abweichung zu dieser Sinago aber einen Bugspriet und das Vorsegel. Dann gab es noch den Heckausleger und der Vordersteven war senkrecht ausgeführt. Bild 2 zeigt uns "Canvas City", den Slum der Immigranten am Yarra River.
Zu Melbourne, Victoria. Die Stammleser meiner Kolumnen werden sich an den tasmanischen Handelsschoner "Enterprize" (1831 tasmanischer Schoner "Enterprize") und den Abenteurer John Pascoe Fawkner erinnern. Fawkner gründete 1835 die Stadt Melbourne am Yarra Fluss, die "Enterprize" diente als Versorgungsschiff. 24 Jahre später, als die "Mystery" eintraf, betrug die Einwohnerzahl bereits 30 000 Personen. In den folgenden 10 Jahren wuchs sie auf 90 000. Auf dem Fluss vertäut dümpelten zahlreiche verlassene Segelschiffe. Die Mannschaften waren desertiert und in die Goldfelder geeilt. Andere Neuankömmlinge hausten in der Zeltstadt, warteten auf die Schürferlaubnis und bereiteten sich auf die Wildnis vor. Die hygienischen Zustände in der Zeltstadt waren erbärmlich, der Yarra Fluss war zu einer Kloake verkommen. Viele der Slumbewohner starben an Krankheiten und Schlägereien.
Zur Ausrüstung der Goldgräber gehörten Kreuzhacke, Schaufel und Blechpfanne. Diese wurde vor Ort mit Schwemmlandablagerungen gefüllt und nach Zugabe von Wasser geschwenkt. Das schwere Gold setzte sich am Boden ab. Auch eine Wiege/cradle war nützlich. Dabei handelte es sich um einen Kasten mit zwei übereinander angeordneten Sieben. Das untere war feinmaschiger. Der Kasten wurde aufgehängt und geschwenkt. Auch hier wurde Wasser hinzugegeben.
Ob die 7 Mann von der "Mystery" Erfolg bei der Goldsuche hatten, ist nicht überliefert. 2 von ihnen blieben in Australien, Kapitän Nicholls und die andere 4 Abenteurer kehrten nach England zurück. Nicholls hatte nachweislich 1849 eine Victorie Kelynack geheiratet und 5 Kinder gezeugt. Auch nach seiner Rückkehr überließ er ihr die Versorgung der Kinder und lebte in London. Dort kam er 1868 bei einem Verkehrsunfall zu Tode. Ein Pferdefuhrwerk hatte ihn überfahren.
Über das weitere Schicksal der "Mystery" ist wenig bekannt. Sie wurde als Lotsenversetzboot in der Port Philipp Bay vor Melbourne eingesetzt und scheiterte 1869 weit entfernt in der Nähe von Rockhampton, Queensland. Die erst 1853 von den Archer Brüder gegründete Siedlung war um 1869 der Ausgangspunkt zu den Goldfunden bei Canoona. Vielleicht hatte die "Mystery" Goldsucher an die Capricon Küste gebracht. Jedenfalls gab es keine Verluste.
Bei der Landnahme wurden die Aborigines vertrieben oder skrupellos getötet. Die "Coast Pioniers Collection", Daily Mercury, Vol. 61, No. 761 berichtet: "the bulk of the wild mob was killed". Die Beschreibung -wild mob- macht sehr deutlich, wer die Schuld trug.
Wir kennen nicht das Baujahr der "Mystery", es gibt auch keine Pläne. 2008 wurde in Newlyn eine Replik erstellt und auf den Namen "Spirit of Mystery" getauft. Anschließend wurde die Reise zur Südspitze Australiens wiederholt. Kurz vor der australischen Küste brach sich ein Expeditionsteilnehmer das Bein. Er wurde von einem Hubschrauber abgeborgen und ins Krankenhaus geflogen. Heute ist das möglich. Die "Spirit of Mystery" ist nur eine Annäherung an das Original, jedenfalls sind von ihr Pläne verfügbar. Ein seramus genannter Modellbauer aus Maine hat nach diesen Plänen ein Modell im Maßstab 1 : 32 gefertigt und in "Ships of scale" als Mount Bay Lugger "Mystery" vorgestellt. Ich werde den geplanten Lugger "aufblasen" müssen. So wie ich es bei dem Uelvesbüller Wrack getan habe. Nur so ist ein segelfähiges Modell zu verwirklichen. Es soll 39 cm lang und 12,14 cm breit werden. Anderenfalls würde das Modell nur 30 cm lang und wäre als Fahrmodell nicht zu gebrauchen. Auch ließen sich die Servos/die Akkus kaum unterbringen.
Bild 1 Uevesbüller Wrack in Fahrt, Bild 2 Modell der "Spirit of Mystery" in "Ships of scale"
Gruß Jörg
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Hier noch einige Details von der Reise nach Australien. Sie stammen aus dem Logbuch, das von Richard Kelynack Cocks, aufbewahrt wurde - also einem Nachkommen aus der Familie der Ehefrau von Kapitän Nickolls. 1. Während der Reise nahm der Lugger mehrmals Kontakt mit anderen Seglern auf. So in der Biskaya mit der Eliza von Southhampton, nahe Madeira mit der Brigg ST. Vincent, die auf der Fahrt von Liverpool nach Kapstadt war. Mit der Brigg Callao, die sich auf der Heimfahrt von der amerik. Westküste nach Liverpool befand. Ein Brief wurde übergeben. Am 16.1. mit einer fanz. Bark, die von Hongkong nach Marseilles unterwegs war. Diese Begegnungen waren wichtig zum Uhrenvergleich (Bestimmung des Breitengrades), Nachrichtenaustausch und Weitergabe von Briefen. Bei gutem Wetter wurden Reparaturen ausgeführt. So die Neuversiegelung des Decks mit Farbe, Öl und Stockholmteer. Im Hafen von Kapstadt wurde das Boot an Land gezogen und der Unterboden wurde gereinigt. Auch wurden die Trinkwasserbehälter gespühlt und aufgefüllt. Im Indischen Ozean wurde aus Ersatzteilen das Floß hergestellt. Es trieb an einer Leine vor dem Bug. Weiterhin wurden Netze getrocknet und der Laderaum wurde aufgeräumt. Auch für das Wohl wurde gesorgt. In Kapstadt nahmen alle Besatzungsmitglieder an der Sonntagsmesse teil. Diese fand an Bord des Hafenschutzbootes HMS Sarignapatam statt. Am Tag der Einfahrt in den Hafen von Melbourne (Hobson´s Bay) wurde ihnen eine ärztliche Gesundheitsbescheinigung ausgehändigt. Sie gestattete ihnen das Land zu betreten.
Das Schiff hatte einen leichten achterlichen Kielfall. Das weiße Gebilde zwischen den Masten ist ein umgelegtes Beiboot. Auf das Dollbord sind Zepter aufgesteckt. In diesen werden Riemen, Schiebebäume, Haken, Gaffeln und Stangen gelagert. So wird eine offene Reling gebildet und die Sicherheit an Bord erhöht. Während der Fockmast senkrecht steht, hat der Großmast einen leichten Fall nach vorne. Das untere Liek des Großsegels ist achtern in ein Rundholz eingefasst. Bild 2 zeigt die Replik "Spirit of Mystery". Gruß Jörg
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Jörg! Die Hafen Newly is Newlyn. Es hat kein eigenew Register, die Schiffe wurden in Penzance eingetragen. Ich habe nur die Liste aus 1850, ohne MYSTERY. Übriegens, die Hafenschiffe, Binneschiffe un kleine Küstenschiffe musten damals nicht regiestiert sein. Bas Schiff erreichte Melbourne am 14 März 1855.
Lancaster Gazette - Saturday 24 March 1855
Andreas von Mach
hat folgende Bilder an diesen Beitrag angehängt
Ich habe zuerst MYSTERY gefunden Penzance Gazette - Wednesday 13 July 1853 Arrivals and Sailings from the 5th to the 12th of July Newport-MYSTERY (Roach)
Roland Parsons Australian Shipowners and their Fleets Book Nine Vessels enrolled at Malbourne up to 1859 p.148 Melbourne Pilots- operator MYSTERY wood 2 mast lugger built 1847 Newlyn, Penzance 16 89/3500 tons 37.5x 11.5 x 6.5ft 1 deck, round stern, carvel registered 5/1854 Penzance Owners in Melbourne: various pilots that vchanged from time to time July 1866 transferred to Brisbone
Danke, Andreas, für deine Recherchen. Du wirst immer fündig, selbst bei einem so kleinen Fischerboot. Habe den Ursprungshafen verbessert - Newlyn. @Andreas von Mach Wikipedia erklärt, dass das Schiff von Penzance gestartet ist - wie auch deine Zeitungsmeldung, Beitrag #5 - oder Newlyn - "Sources vary". Wahrscheinlich kannte niemand das kleine Newlyn. Der alte Alexander Schulatlas zeigt auch nur Penzance ganz nah bei Land´s End. Man sieht, wie nah die Bretagne ist. Newlyn schließt sich westlich an Penzance an, ist quasi ein Vorort. Es war einst der bedeutendste Fischereihafen Englands. Heute ankern hier viele Sportboote und Jachten. Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle.
Hier noch einige bedeutende historische Ereignisse zu Newlyn: 1595 landeten die Spanier hier, zerstörten die Siedlung und viele weitere Niederlassungen in Cornwall. 1620 suchte die "Mayflower" den Hafenort auf. Das in Plymouth aufgenommene Trinkwasser verursachte Fieber und Colera. Mit neuem Trinkwasservorrat gelang die Reise nach Nordamerika. 1755 verursachte das Erdbeben von Lissabon einen Tsunami mit einer 10 m hohen Flutwelle. Menschen starben, Eigentum wurde zerstört. 1896 kam es zu einem gewaltsamen 3 tägigen Aufstand. Die Anwohner waren strenggläubige Methodisten und beachteten das Arbeitsverbot am Sabbat. Ortsfremde Fischer aus Lowestoft und anderen nördlichen Orten landeten sonntags ihren Fang an und verkauften die Makrelen. Die heimischen Fischer rotteten sich zusammen, stürmten die Boote und warfen die Fische über Bord. Die örtliche Polizei griff ein, Inspektor Matthews wurde mit einer Fischkiste heftig am Kopf verletzt. 100 Polizisten wurden zusammen gezogen, das Royal Berkshire Regiment (400 M.) traf mit der Eisenbahn ein. Steine flogen, Rangeleien fanden statt. Erst das Erscheinen des Torpedobootzerstörers HMS "Ferret" beruhigt die Lage. Royal Navy als bewährter Problemlöser, schön.
Bild aus Wikipedia, Ferret, erbaut 1893, 1911 bei Zielschießen aufgebraucht, da schon veraltet, typisches Walrückenboot. Wie mein zeitgleiches Schichauboot - S 33-, rechtes Bild
Gruß Jörg
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Bester Robert,@Tarjack es war tatsächlich eine Nussschale und das macht die Fahrt so außergewöhnlich. Und desdawegen will ich sie bauen. Sie hatte aber vorzügliche Seeeigenschaften: 1. Die Luggersegel ließen sich schnell und gefahrlos setzen und einholen. 2. Es war eine große Segelfläche und die Rumpfform schlechtem Wetter angepasst. Bei Land´s End und den Scilly Isles herrschen oft extreme Wetterbedingungen. Die Bretonen nutzten ähnliche Boote (Sinago) zum Austernfischen mittels der Dredge (Art von Grundschleppnetz). Dafür braucht man ein kraftvolles Boot. 3. Es war Stürmen gewachsen, Logbuchauszügen: 18.2.1855 8 a.m. Ausgewachsener Hurrikan, Wellen hoch wie Berge. Schiff mit bloßen Masten unterwegs (- wird vom Treibfloß gehalten). Unser tapferes kleines Gefährt verhält sich großartig, nimmt keinerlei Wasser über.
----Offenbar verhält sich der Lugger wie ein Kork im Wasser---
6.3.1855 Berge von Wellen, "dry decks fore and after (1)" , Ich bin sicher, sie verhält sich besser als viele große Schiffe, holten das Floß an Bord und setzten Segel.
(1) Dieser Eintrag verwirrt mich sehr. Demnach wäre die "Mystery" nur ein halbgedecktes Fahrzeug gewesen. Der mittlere Bereich war folglich offen. Das macht das Unternehmen noch waghalsiger. Die Ausführung, wie wir sie bei der Replik "Spirit of Mystery" sehen, wäre falsch. Halboffen kann ich sie nicht bauen. Ich könnte den Segelservo und die Akkus nicht verstecken.
Gruß Jörg
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Was für die halbgedeckte Ausführung spricht: Nehmen wir mal an, der Bug- und auch der Heckbereich wären überdeckt und mit einem Querschot vom offenen Mittelteil getrennt gewesen. Diese Räume hätten keine Stehhöhe gehabt, aber jeweils 2 - 3 Personen Platz zum Schlafen gewährt. Die Besatzung hätte umschichtig geruht, mindestens 2 Mann mussten auf Wache sein. Das Logbuch berichtet:" 25.2.1855 mountains of sea running. 27.2.1855 people airing nets and restoring hold."
Deutung: Das Schiff befand sich im Indischen Ozean, man erlebte einen Sturm. Danach musste der Laderaum überprüft/aufgeräumt werden, die nassgewordenen Netze wurden ausgelegt. Im Hold/Laderaum befanden sich der Kochherd, das Brennholz/-material, Fässer mit Wasser, Fässer mit Esswaren, Kisten mit Werkzeug und Geschirr, dazu Ersatzsegel, Taue, etc. Man musste prüfen, ob sie noch fest vertäut waren oder gar beschädigt.
Was gegen die halbgedeckte Ausführung spricht:
Ich habe in meiner kleinen Sammlung von Fahrmodellen drei halbgedeckte Segler; den türkische Küstensegler, die türkische Klappmastmahone und den griechischen Holkas. Bei ihnen allen ist die Gefahr hoch, dass der Mittelteil bei stärkerer Kränkung voll läuft und das Modell sinkt. Ich habe jeweils ein Zwischendeck eingezogen und eine Ladung aufgebaut, habe Speigatten knapp über der Wasserlinie angebracht, aber die Gefahr ist gegeben.
Die Replik von 2008 wurde mit einem durchgehenden Deck versehen. Das waren Engländer - vor dem Brexit- und diese Fachleute haben sich Gedanken gemacht.
Gruß Jörg
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